Krankenversicherungsrecht

Kostenerstattung für eine Magen-Bypass-Operation bei Adipositas

Nach den seit April 2010 maßgeblichen Leitlinien ist in Ausnahmefällen die medizinische Indikation für eine primäre chirurgische Therapie der Adipositas zu bejahen, wenn Art und/oder Schwere der Krankheit bzw psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen lassen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist.

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.10.2011 - L 5 KR 12/11


Krankenversicherungsrecht

Anspruch auf alternative Therapie (Rhythmische Massage)

Die Rhythmische Massage der Anthroposophischen Medizin stellt ein "neues" Heilmittel iS des § 138 SGB V dar, auf das erst dann ein Behandlungsanspruch des Versicherten besteht, wenn es von dem Gemeinsamen Bundesausschuss in Form einer Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S 2 Nr. 6 SGB V positiv bewertet worden ist.

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 02.02.2012 - L 8 KR 93/10


Vertragsarztrecht

ständige ärztliche Anwesenheit während des Notdienstes

Die Kassenärztliche Vereinigung darf dem zum Notdienst in einer zentralen Notfalldienstpraxis eingeteilten Arzt aufgeben, während der festgelegten Dienstzeiten in der Praxis ständig präsent zu sein.

Bundessozialgericht, Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 23/10 R


Pflegeversicherungsrecht

Begleitung bei Fahrten zum Arzt

Benötigt der Versicherte bei Arztbesuchen Hilfe durch eine Begleitperson für den Weg vom Fahrzeug zur Arztpraxis, kann auch für die Fahrt zur Arztpraxis benötigte Zeit bei der Feststellung des Pflegebedarfs nach dem SGB 11 zu berücksichtigen sein.

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.02.2012 - L 5 P 29/11


Arbeitslosengeld II

Leistungsausschluss für Studenten

Studenten sind während eines Urlaubssemesters nur dann von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn sie organisationsrechtlich noch der Hochschule angehören und ihr Studium weiter betreiben.

Bundessozialgericht, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 102/11 R


Arbeitslosengeld II

Regelleistungen verfassungswidrig; Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Das Sozialgericht Berlin hält die Höhe der Regelleistungen für zusammenlebende kindererziehende Leistungsberechtigte und für jugendliche Leistungsberechtigte ab Vollendung des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres für verfassugnswidrig und hat das Verfahren bis zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit ausgesetzt.

SG Berlin, Beschluss vom 24.05.2012 - S 55 AS 9238/12


Arbeitsförderungsrecht

Arbeitssuchendmeldung; sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bei Fehlinformation durch die Behörde

Arbeitslose haben gegenüber der Bundesagentur für Arbeit einen Anspruch auf Meldung der Zeiten der Arbeitslosigkeit gegenüber der Rentenversicherung. Wird ein Arbeitsloser durch falsche Informationen der Bundesagentur für Arbeit davon abgehalten, sich rechtzeitig arbeitssuchend zu melden, ist er im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er dies nicht versäumt.

Sächsisches LSG, Urteil vom 21.04.2010 - L 1 AL 175/09


Arbeitsförderungsrecht

Nahtlosigkeit; Sperrwirkung des § 125 SGB III; Verfügbarkeit

Allein wegen fehlender Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung kann nicht auf fehlende Verfügbarkeit geschlossen werden. Feststellungen zur Verfügbarkeit hat die Behörde auch zu treffen, wenn es sich um eine Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) handelt. 

Bundessozialgericht, Urteil vom 10.05.2007 - B 7a AL 30/06 R


Rentenversicherungsrecht

Befreiung eines angestellten Rechtsanwalts von der Rentenversicherungspflicht

Ein Rechtsanwalt ist von der Versicherungspflicht zu befreien, wenn er eine spezifisch anwaltliche Tätigkeit ausübt. Dem steht nicht entgegen, dass er hauptsächlich auf dem Gebiet der Forderungsbeitreibung tätig ist.

SG Köln, Urteil vom 30.09.2011 - S 36 R 1106/10


Rentenversicherungsrecht

Versicherungspflicht selbständig Tätiger

Selbständig tätige Handelsverterter unterliegen der Versicherungspflicht, wenn sie im wesentlichen und auf Dauer nur für einen Auftraggeber tätig sind und im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2011 - B 12 R 1/10 R


Rentenversicherungsrecht

Erwerbsminderungsrente; eingeschränktes Leistungsvermögen auf nicht absehbare Zeit

Erwerbsminderungsrente erhält, wer auf nicht absehbare Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden (teilweise Erwerbsminderung) oder mindestens drei Stunden (volle Erwerbsminderung) täglich erwerbstätig zu sein. Maßgeblich ist ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten.

Bayerisches LSG, Urteil vom 28.03.2012 - L 19 R 846/10


Rentenversicherungsrecht

kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente trotz eingeschränkter Wegefähigkeit

Die Zusage der Übernahme von Fahrtkosten zu Vorstellugnsgesprächen oder einer Arbeitsstelle stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, wonach die zum Rentenanspruch führende Wegeunfähigkeit erst durch die erfolgreiche Durchführung einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben behoben ist.

Bundessozialgericht, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R


Rentenversicherungsrecht

Gesamtsozialversicherungsbeitrag; illegales Beschäftigungsverhältnis

Ein Beschäftigungsverhältnis ist illegal, wenn zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts, wie Zahlungs-, Melde-, Aufzeichnungs- und Nachweispflichten, verstoßen wird. Ein Nettoarbeitsentget gilt als vereinbart, wenn der Arbeitgeber mindestens bedingt vorsätzlich gegen solche Pflichten verstoßen hat.

Bundessozialgericht, Urteil vom 09.11.2011 - B 12 R 18/09 R


Rentenversicherungsrecht

Verrechnung von Ansprüchen der Bundesagentur für Arbeit mit Altersrente durch Rentenversicherung

Die Verrechnung erfolgt durch Verwaltungsakt, der durch die Gerichte nicht als bloßer "formeller" Verwaltungsakt ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit der Verrechnung aufgehoben werden kann.

Bundessozialgericht, Urteil vom 07.02.2012 - B 13 R 109/11 R


Arzthaftung

Pflichtverletzung durch Unterlassen

Besteht die Pflichtverletzung in einer Unterlassung, ist diese für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 63/11


Pflegeversicherungsrecht

Aufhebung Pflegestufe

Eine rechtswirksame Aufhebung der Pflegestufe setzt eine Aufhebung aller Bescheide voraus. Ein nicht aufgehobener Bescheid setzt einen Rechtsgrund für den Leistungsanpruch.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.02.2012 - L 27 P 26/11


Pflegeversicherungsrecht

Höhe des Pflegegeldes

Die unterschiedliche Höhe des Pflegegeldes bei Pflege durch nahe Angehörige und professionelle Pflegekräfte ist verfassungsgemäß; Geltung von Grundrechten im Verhältnis zwischen Versichertem und privater Pflegekasse

Bayerisches LSG, Urteil vom 14.11.2011 - L 2 P 60/11


Pflegeversicherungsrecht

Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen

Zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe I, wenn durch das Anlegen eines Fixateurs nur Hilfebedarf für Tätigkeiten besteht, die den Oberkörper betreffen. § 14 Abs. 4 SGB XI enthält einen abschließenden Katalog von Verrichtungen des täglichen Lebens. Maßgeblich für die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der zeitliche Umfang der gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens.

Bayerisches LSG, Urteil vom 18.01.2012 - L 2 P 71/11


Krankenversicherungsrecht

Bedeutung des Hilfsmittelverzeichnisses der gesetzlichen Krankenversicherung

Klagebefugnis für die Aufnahme eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung hat nur der Hersteller; Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel kann auch bestehen, wenn das Hilfsmittel nicht in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen wurde

Bundessozialgericht, Urteil vom 15.03.2012 - B 3 KR 6/11 R


Krankenversicherungsrecht

Kostenerstattung für zwei allergendichte Matratzenkomplettumhüllungen (Matratzen-Encasings)

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Krankenkasse ist zur Kostenerstattung für eine vom Versicherten selbst beschaffte Leistung u.a. dann verpflichtet, wenn sie diese zu Unrecht abgelehnt hat, und zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht.

Bundessozialgericht, Urteil vom 15.03.2012 - B 3 KR 2/11 R


Krankenversicherungsrecht

Verordnung eines Arzneimittels während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens

Allein die Möglichkeit eines erleichterten Zulassungsverfahrens der gegenseitigen Anerkennung mit der Folge, dass das bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat zugelassene Arzneimittel grundsätzlich auch im Inland zuzulassen ist (§ 25b Abs. 2 AMG), ersetzt nicht die Zulassungsentscheidung.

Bundessozialgericht, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 19/10 R


Krankenversicherungsrecht

Auffangpflichtversicherung für vormals gesetzlich Krankenversicherte auch bei zwischenzeitlicher anderweitiger Absicherung

Der Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII vor der Haftzeit steht einer Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (Auffangpflichtversicherung) nicht entgegen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 21.12.2011 - B 12 KR 13/10 R


Pflegeversicherungsrecht

Pflegestufe I, Anwendung der Begutachtungsrichtlinien, Richtzeitwerte, Zeitkorridore

Bei der Ermittlung des zeitlichen Bedarfs ist auf die durchschnittliche Zeit, die ein Familienangehöriger, Nachbar oder eine andere nicht professionelle Pflegeperson benötigt, abzustellen. Die Zeitkorridore beruhen auf Erfahrenswerten.

Bayerisches LSG, Urteil vom 12.10.2011 - L 2 P 70/11


Kranken- und Pflegeversicherungsrecht

Beitragspflicht von "Altersrenten" einer Stiftung in der Kranken- und Pflegeversicherung

Von einer Stiftung an frühere Mitarbeiter der Firmengruppe des Stifters gezahlte "Altersrenten" sind als rentenvergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) beitragspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung, wenn ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Leistungen und der früheren Beschäftigung besteht und sie dazu bestimmt sind, entgangenes Erwerbseinkommen zu ersetzen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 25.05.2011 - B 12 P 1/09 R


Arzthaftung

Beweislast für die Kausalität zwischen einem Aufklärungsmangel im Vorfeld einer Schwangerschaft und dem Unterhaltsaufwand für ein behindertes Kind

Die Eltern eines behinderten Kindes, die wegen eines behaupteten Aufklärungsmangels im Vorfeld der Schwangerschaft Ersatz des Unterhaltsaufwandes verlangen, haben zu beweisen, dass sie sich bei gebotener Aufklärung gegen eine Schwangerschaft entschieden hätten. Allein die Schilderung der dann verwendeten Verhütungsmittel ist hierzu nicht ausreichend

Brandenburgisches OLG, Urteil vom 19.12.2011 - 12 U 152/11


Arzthaftung

Verweigerung der Anhörung eines Sachverständigen verletzt betroffene Partei in Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss den Prozessparteien auf Antrag die Möglichkeit gegeben werden, einen gerichtlichen Sachverständigen mündlich anzuhören. Kommt das erstinstanzliche Gericht einem solchen Antrag nicht nach, muss das Berufungsgericht diesem Antrag stattgeben, wenn er in der zweiten Instanz erneut gestellt wird

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2012 - 1 BvR 2728/10


Arzthaftung

Verjährung der Arzthaftung: Grob fahrlässige Unkenntnis des Patienten von den anspruchsbegründenden Umständen

Die Verjährungsfrist beginnt, wenn der Patient Kenntnis vom Schaden erlangt oder sie infolge grob fahrlässiger Unkenntnis nicht erlangt. Dafür reicht es nicht immer schon, dass der Patient Kennntis vom negativen Ausgang einer ärztlichen Behandlung hat

BGH, Urteil vom 10.11.2009 - VI ZR 247/08


Krankenversicherungsrecht

Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich durch die Krankenkasse

Hilfsmittel können durch verschiedene Sozialversicherungs- bzw. Sozialleistungsträger gewährt werden. Die Krankenkassen sind für die Versorgung mit Hilfsmitteln zuständig, wenn sie erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.

Bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich unterscheidet man solche, die dem unmittelbarem Ausgleich dienen, also die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion ersetzen, und solchen, die dem mittelbaren Ausgleich dienen. Unmittelbarer Behinderungsausgleich erfolgt beispielsweise durch Hörgeräte, eine Brille oder „Körperersatzstücke“, z.B. Prothesen. Der mittelbare Ausgleich betrifft dagegen die Folgen, die die Behinderung mit sich bringt.

Beim unmittelbaren Behinderungsausgleich geht es um den möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits. Es soll ein Gleichziehen mit einem nicht behinderten Menschen erreicht werden. Dabei ist auch der aktuelle Stand des medizinischen und technischen Fortschritts zu berücksichtigen, es besteht ein Anspruch auf Versorgung mit einem „aktuellen Modell“.

Beim mittelbaren Behinderungsausgleich sollen dagegen die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden. Ein Anspruch auf die Versorgung mit einem Hilfsmittel besteht nur, wenn der Behinderungsausgleich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft . Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gehören dazu das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Hier besteht jedoch kein Anspruch auf ein vollständiges Gleichziehen mit einem nicht behinderten Menschen, sondern nur auf einen „Basisausgleich“. Um mittelbaren Behinderungsausgleich geht es beispielsweise auch, wenn ein beeinträchtigter Sinn durch die Nutzung eines anderen, intakten Sinns ersetzt wird.

Die Kosten für ein Hilfsmittel sind nicht schon dann von der Krankenkasse zu übernehmen, wenn ein solches ärztlich verordnet wurde, oder weil es in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen wurde. Die Krankenkasse prüft in jedem Einzelfall, ob das Hilfsmittel tatsächlich erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kommt es für die Versorgung mit einem Hilfsmittel nicht darauf an, ob es im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, das Verzeichnis hat lediglich eine Indizwirkung.

In seinem Urteil vom 10.03.2011 - B 3 KR 9/10 R – hat das BSG entschieden, dass ein Barcodelesegerät („EinkaufsFuchs“) für erblindete und hochgradig sehbehinderte Versicherte ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sein kann, weil es dem Grundbedürfnis des selbständigen Wohnens dienen kann. Das Barcodelsesgerät ist ein elektronisches Produkterkennungssystem mit Sprachausgabe. Es dient dazu, dass in Strichcodes verschlüsselte Produktdaten von handelsüblichen Waren über die Sprachausgabe für sehbehinderte Menschen hörbar gemacht werden.

In einer weiteren Entscheidung vom 18.05.2011 – B 3 KR 7/10 R – hat das BSG entschieden, dass ein Rollstuhl-Bike dem mittelbaren Behinderungsausgleich dient, weil damit nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern die Folgen der beeinträchtigten Körperfunktion ausgeglichen wird. Ein Anspruch auf Versorgung besteht daher nur, wenn die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Im hier entschiedenen Fall ging es um die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Dieses Grundbedürfnis umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt, um Einkäufe zu tätigen, Nachbarn zu besuchen oder Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Anders als im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (Wegefähigkeit) und beim Nachteilsausgleich mit dem Merkzeichen“G“ wird im Bereich der Krankenversicherung keine feste Wegstrecke zugrunde gelegt. Bei der Bestimmung des Nahbereichs muss räumlich ein Bezug zur Wohnung und sachlich ein Bezug zum Grundbedürfnis der selbständigen Lebensführung gegeben sein. Ein Rollstuhl-Bike ermöglicht zwar grundsätzlich eine dem Radfahren vergleichbare Mobilität, die sich gerade nicht mehr auf den Nahbereich beschränkt, so dass u.U. die Versorgung mit einem Rollstuhl ausreichend sein kann. Hier war die Klägerin bereits mit einem Aktivrollstuhl versorgt. Aufgrund der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, benötigte sie aber schon nach kurzer Zeit erhebliche Pausen und bei weiterer Fortbewegung mit dem Aktivrollstuhl war davon auszugehen, dass die Beschwerden der Klägerin zunehmen würden. Deshalb war sie mit einem Rollstuhl-Bike zu versorgen.


Arzthaftung

Beweislastumkehr bei Befunderhebungsfehler

Wird einem Arzt ein Behandlungsfehler, also ein Verstoß gegen den medizinischen Standard vorgeworfen, muss grundsätzlich der Patient beweisen, dass ein solcher Verstoß vorgelegen hat.

Dies kann für den Patienten mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein, weil der Arzt auf diesem Gebiet bessere Fachkenntnisse hat und der Patient u.U. einen ärztlichen Eingriff gar nicht bewusst wahrgenommen hat, wenn er z.B. in Narkose operiert wurde.

Deshalb kommen dem Patienten im Gerichtsprozess Beweiserleichterungen zugute. So können bspw. Lücken in der ärztlichen Dokumentation zu einer Umkehr der Beweislast führen, so dass der Arzt beweisen muss, dass eine bestimmte Maßnahme erfolgt ist, obwohl sie nicht dokumentiert wurde.

Auch ein Befunderhebungsfehler kann zu einer Beweislastumkehr führen. In seinem Urteil vom 13.09.2011 – VI ZR 144/10 – führt der Bundesgerichtshof (BGH) aus, dass „bei der Unterlassung der gebotenen Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität [erfolgt], wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt“.

In einer weiteren Entscheidung vom 07.06.2011 - VI ZR 87/10 - hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach nicht nur bei einem groben, sondern auch bei einem einfachen Befunderhebungsfehler eine Beweislastumkehr in Betracht kommt, „wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen“. Die Beweislastumkehr tritt nicht erst ein, wenn die Befunderhebung grob fehlerhaft unterlassen wurde.

Die Umkehr der Beweislast ist nur dann ausgeschlossen, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen unterbliebener Behandlung und aufgetretenen Beschwerden völlig unwahrscheinlich ist. Es ist nicht zusätzlich erforderlich, dass das Unterlassen einer gebotenen Therapie völlig unverständlich ist.